Der erste Blick in die seit 3000 Jahren unberührte Grabkammer war nur durch
ein gut faustgroßes Loch möglich. Den amerikanischen Archäologen der
Universität Memphis stockte der Atem: Dort lagen sieben hölzerne Särge. Einer
war umgestürzt und gab den Blick auf die Totenmaske einer Frau frei. Um die
Särge herum standen überall Gefäße aus Keramik und Alabaster, Beigaben für das
Reich des Todes.
Die Entdeckung des Grabes mit der Bezeichnung KV 63 ("Kings Valley")
im vergangenen Februar hat wilde Spekulationen ausgelöst. Liegt hier die
sagenumwobene Nofretete? Oder sind es die Mumien bekannter Pharaonen? Fand hier
die Frau von Tutanchamun ihre letzte Ruhe? Denn gleich am Hang gegenüber liegt
das Grab des Kindkönigs Tutanchamun ("KV 62"), entdeckt im November
1922. Oder liegen in dem kleinen Grab überhaupt keine königlichen Gebeine?
Noch stehen die Antworten aus. Dennoch ist ein Streit entbrannt zwischen den
Amerikanern und den ägyptischen Behörden, innerhalb der US-Mannschaft und mit
einem Briten, der den Fund für sich beansprucht.
Es handele sich um eine "einmalige" Entdeckung im Tal der Könige,
versichert die Direktorin des Archäologie-Instituts der Universität Memphis,
Lorelei Corcoran. Die Stätte mit den hölzernen Särgen und Tausenden von Krügen
liegt nur sieben Meter von Tutanchamuns Grab entfernt in vier Meter Tiefe. Sie
war zunächst als Lager für Gegenstände zur Mumifizierung angesehen worden.
Andere glauben, in der Kammer hätten Priester die Sarkophage in späteren
Jahrhunderten vor Grabräubern versteckt. Mittlerweile spekulieren Ägyptologen,
es könne sich um die letzte Ruhestätte von Tutanchamuns Mutter oder Witwe handeln.
"Wir sind begeistert, aber wir dürfen uns nicht zu weit vorwagen",
sagt Corcoran.
Drei Sarkophage sind vergoldet. Der Chef der Behörde für Altertümer in Luxor,
Mansur Boraik, geht "zu 70 Prozent" davon aus, daß eine königliche
Mumie in der Grabstätte freigelegt wird. Der Chef der US-Ausgrabungstruppe,
Otto Schaden, meint, es könne sich um die Mumie von Anchesenamun, der Witwe
Tutanchamuns, handeln.
Sahi Hawass, der Leiter der gesamtägyptischen Altertümerverwaltung, hält dies
für abwegig: "Tutanchamuns Witwe hat nach dessen Tod einen hohen
Würdenträger geheiratet, sie hatte genügend Zeit, sich ein würdigeres Grab zu
organisieren." Er glaubt, daß Tutanchamuns Mutter hier begraben liegt.
Die Uneinigkeit ist nur eine Facette bei der Suche nach dem Geheimnis des
Grabes. Altertums-Direktor Hawass ließ es sich nicht nehmen, in der Zeitung
"El Ahram Weekly" auf Zwistigkeiten unter den US-Forschern
hinzuweisen. Es gebe einen "Kampf" zwischen Schaden und seiner Chefin
Corcoran. Dabei gehe es nicht nur um die Ausgrabung, sondern auch darum, wer
von beiden die Kontakte zur Presse übernehmen solle. Angeblich schicken sich
die beiden ständig böse Briefe. "Nur nicht dramatisieren", winkt
Lorelei Corcoran ab, "entscheidend ist, was wir im Grab entdecken, und ich
habe da bis jetzt, ehrlich gesagt, keine Ahnung." Die Genehmigung für die
Arbeiten an der Ausgrabungsstätte wurde erst mal bis Ende Juni verlängert.
Doch hier endet der Streit nicht. Der britische Archäologe Nicolas Reeves,
einer der bedeutendsten Experten für das Tal der Könige, verkündet
mittlerweile, eigentlich habe er KV63 entdeckt. Reeves leitete bis 2002 ein
riesiges Projekt namens ARTP ("Amarna Royal Tomb Project") im Bereich
des jetzt entdeckten Grabes. Er mußte 2002 seine Arbeit abbrechen, weil er -
völlig zu Unrecht - verdächtigt wurde, wertvolle Funde illegal verkauft zu
haben. "Wir hatten eine großangelegte Strategie - traurig, daß wir sie
nicht zu Ende führen durften", schreibt Reeves auf seiner Internetseite.
afp, HA
Da
ich bei meinem letzten Ägypten-Aufenthalt noch nichts von dieser Entdeckung
gelesen hatte, war mir vor Ort keine Besichtigung möglich. Dank dem
Hamburger Abendblatt vom 20.06.2006 für diesen Bericht.